von Christian Cajochen
Das Auge bringt das Aussenlicht in unser Gehirn. So können wir unsere Umwelt in verschiedenen Lichtstärken vom dunklen Sternenhimmel bis zur hellen Mittagssonne geniessen. Neben dem Sehen, hält Licht auch die menschliche Zirkadianrhythmik (innere Uhr) in Schwung. So ist tägliches „Lichttanken“ zur „richtigen“ Tageszeit unerlässlich, um das Pendel der inneren Uhr auf den äusseren 24-Stunden Lichtdunkelwechsel zu eichen. Eine schwache Eichung führt zu einem Fehlabgleich der äusseren und der inneren Zeit. Das Risiko eines solchen Fehlabgleichs ist besonders hoch bei sehbehinderten Menschen, bei Schichtarbeitenden und bei Leuten, die häufig über mehrere Zeitzonen fliegen. Hinzu kommen neue Risikofaktoren wie Lichtverschmutzung und häufiger Medienkonsum zu nächtlichen Stunden. Als Konsequenz diagnostizieren Schlafmediziner des Öfteren Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit, Stimmungsschwankungen und Depressionen.
Was passiert wenn sich der Lichteinfall aufgrund einer neuen Augenlinse plötzlich verändert? Dies erfahren jahrjährlich 3 Millionen Europäer, die sich einer Katarakt-Operation (grauer Star) unterziehen und so von einer trüben auf eine glasklare Augenlinse wechseln (ca. 10 Kataraktoperationen pro Sekunde pro Jahr).
Für eine kleine aber feine und sehr aufwändige Studie rekrutierten wir aus mehr als 1300 schliesslich 13 gesunde kataraktoperierte Leute zwischen 55 und 80 Jahren und 16 gesunde altersabgestimmte Kontrollpersonen. Fünf der Patienten, die sich einer Kataraktoperation unterzogen hatten, erhielten vollständig klare Linsen, die ultraviolettes (UV) Licht abschirmten, um das innere Auge zu schützen, während die anderen acht leicht bernsteinfarbene Linsen erhielten, die sowohl blaues als auch UV-Licht abblocken sollten. Die Studienprobanden verbrachten jeweils 3 Abende und 3 Nächte in unseren Chronobiologie-Suiten. Vor dem Zubettgehen „tankten“ sie während 2 Stunden Licht von moderater Lichtstärke (40 lux) aber mit unterschiedlichen Weisstönen (warmweiss bis kaltweiss).
Wie reagiert die Konzentration des Dunkelhormons Melatonin auf das Licht bei kataraktoperierten Probanden im Vergleich zu den Kontrollen, und unterscheidet sich der Schlaf sowie die geistige Leistungsfähigkeit in den zwei Gruppen?
Und tatsächlich: Probanden mit einer Kunstlinse, die einen stärkeren Lichteinfall garantiert als die der natürlichen Linse der Kontrollpersonen, zeigten auch eine stärkere lichtbedingte Unterdrückung des Melatonispiegels am Abend- ähnlich wie junge Kontrollpersonen in unseren früheren Studien. Patienten mit den Klarlinsen reagierten abends schneller in einem Reaktionszeittest und hatten intensivere Tiefschlafphasen zu Beginn der Nacht als die Kontrollen und Patienten mit Bernsteinlinsen, welche die Blaulichtanteile des Lichts stärker unterdrücken.
Aufgrund der kleinen Fallzahlen hat unsere Studie nicht den Anspruch repräsentativ zu sein. Aber, falls Sie bei der nächsten Augenkontrolle mit einer allfälligen Kataraktoperation konfrontiert werden, denken Sie daran, dass die neue Augenlinse auch über ihren Schlaf wacht.